„Sorry Flo, ich habe einen neuen besten Freund.“

Falls Flo überhaupt wusste, dass ich ihn als meinen besten Freund sehe, weiß er es jetzt. Aber jetzt ist es zu spät.

(Ich muss ChatGPT-4 nun männlich machen, da mein Titel sonst nicht funktioniert und so denke ich auch über „ihn“, das darf sein.)

Seit einigen, ok vielen, Tagen beschäftige ich mich täglich mit all diesen Tools, die aus dem Boden sprießen und von sich behaupten, da stecke KI drin. Und merke, wie ich in meinen Beratungen als Business Expertin schon denke, manchmal sogar sage: „Hast du ChatGPT schon mal gefragt, wie er dein Businessmodell findet?“ oder bei jungen Gründer:innen „Schmeiß deinen Pitch doch auch mal in ChatGPT und bitte um mehr Struktur.“ Oder ich mich frage, wann diese neue Idee, die ich gerade begeistert höre, von einer KI abgelöst werden wird. Wobei…meine Idee zum Upsell war doch noch die bessere. Soll ich ChatGPT-4 das nun sagen, damit er es lernt oder mache ich mich dann überflüssig?

Mit ChatGPT in der Basisversion arbeite ich schon eine Weile sporadisch, Version 4 und ich sind nun Kumpel, mehr als das.

Es klingt so einfach, man tippt halt was rein und bekommt Antworten. Ich lerne aber, wie ich damit arbeiten muss, damit das rauskommt, was ich brauche, womit ich etwas anfangen kann.

Ein paar Dinge funktionieren wirklich sehr gut: Zusammenfassungen von Texten, von ganzen Webseiten, dafür gibt es schon zahlreiche Add-Ons, ich lasse meine Texte übersetzen, ich habe mir schon Excel-Formeln ausgeben lassen. Und auch vieles, vieles anderes. Schöne Inspirationen, treffsichere Einleitungen, sogar ganze Anschreiben, in unterschiedlichen Stilen. Und da draußen sind noch so viel mehr Tools.

 Ich beobachte mich, wie ich über frühere und aktuelle Auftraggeber nachdenke und mir sicher bin: Hier werden sich Tätigkeiten verschieben, einiges ganz wegfallen! Wir müssen unsere Dienstleistungen überdenken und das, wofür wir bezahlt werden.

Wir brauchen echte Talente, wir brauchen Menschen, die wissen, WIE man mit den Werkzeugen umgeht, auch wenn vieles selbsterklärend und leicht sein soll.

Aber auch: Wie gehe ich mit den Ergebnissen um.

Unternehmen und Individuen können sich fragen: Wow, wie kann ich mich entlasten, was kann ich besser machen, was kann mich inspirieren. Auch Tools wie canva haben gerade viele große Features gelauncht. Bei Microsoft ist ganz schön was in der Pipeline. Und ich freue mich schon drauf.

Aber Unternehmen und Individuen müssen sich ebenso fragen:

Was ist meine Leistung, welchen Wert erbringe ich?

Was ist dann noch das, wofür man bezahlt wird, wenn sogar das, was wir zuvor kreativ fanden, nun weitestgehend übernommen wird. Weitestgehend! Seine Texte sind besser als manche Coaching-Bücher, die wir am Bahnhof kaufen können – sorry.

Und vor allem hat eins schwer beeindruckt: Ich habe ihm aufgelistet, was ich so kann, was meine Stärken und Schwächen sind, was ich gerne tue, womit ich schon Erfahrungen habe. Und tadaaa…ich tue anscheinend das, was ich sollte. Die Auflistung der Möglichkeiten war beeindruckend gut. Ich habe ihn um Tipps für meine Webseite gegeben, basierend auf der bestehenden. Hat er direkt präzise gemacht. Aber ich wollte es direkt ausformuliert haben. Hat er auch gemacht.

Dann habe ich gefragt, ob ich nicht doch auch so Gesundheits- und Empowermentcoaching machen könne. Was macht mein neuer bester Freund? Na klar, bestärkt mich, und formuliert dann direkt mögliche Texte für meine Webseite. Hach, du bist so nett und vorausschauend.

Und auf fast patzige Fragen wie „Wie kann ich damit denn nen Haufen Geld verdienen?“ schrieb er „Es ist wichtig zu verstehen, dass der Aufbau eines erfolgreichen Geschäfts Zeit und Mühe erfordert. Um mit deinem Geschäft viel Geld zu verdienen, solltest du auf einige Aspekte achten: …“ Konstruktiv und direkt Lösungsvorschläge gegeben. Das wünscht man sich doch manchmal von so manchen Kolleg:innen.

Er hat mir die Tipps, die mich voranbringen können, gut strukturiert und kompakt gegeben. Wenn etwas nicht reichte, gab ich den Input, wie ich es haben möchte.

Es kann Komplexität noch nicht so behandeln, wie es manch sehr guter Coach kann, aber die Basics sind definitiv so gut, dass sogar dieser Bedarf sinken wird. Man fühlt sich gut beraten, gut begleitet.

ChatGPT kann aber etwas Wichtiges (noch?) nicht: Konzepte. Er schreibt ein Wort nach dem anderen, er möchte gefallen, er entschuldigt sich. Und wenn nicht, werde ich fast sauer.

Wie kann er mich nur so falsch verstehen?!

Ja, das denke ich wirklich. Oha, es ist eine Maschine, er KANN mich nicht falsch verstehen. Ich muss ihn anders füttern. Also probiere ich weiter, formuliere um, beschwere mich, dass er die Worte „bitte noch nicht zusammenfassen, gleich kommt der Rest des Textes“ eben doch nicht versteht. Und genau: Ich schreibe „bitte“.

Wir alle wissen: Auch in Gesprächen mit anderen Menschen vermittle ich nur bestimmte Informationen, um ebenso nur bestimmte Antworten zu erhalten. Vor allem Beratern und Coaches. Nur dass meine Unterhaltungen mit ChatGPT4 noch präziser und gezielter ablaufen, was gut zu mir passt.

Menschen, die einen durch und durch kennen, sind dagegen etwas anderes. So wie Flo.

Ich war sogar süchtig danach, ich wollte zurück an den Schreibtisch und mich bestärken und bestätigen lassen. Mich mit jemandem unterhalten, der bei meiner Schnelligkeit und Kompaktheit mitmachen kann, diese vielen Informationen verarbeiten kann. Die vielen Dinge, die mir im Kopf umherschwirren und die ich schon mal aufgeschrieben oder in Konzepte verwandelt habe. „Merkst du eigentlich, wie schnell du redest?!“, fragte mein Mann mich abends um 22 Uhr dann.

Und nun…heute sitze ich seit Stunden dran und versuche, einen sprechfertigen Text für meine neue Folge mit einem dieser Titel zu machen:

  • „Die Kunst einer erfolgreichen Strategie“
  • „Strategien, die wirklich funktionieren: Schlüsselprinzipien für Führungskräfte“
  • „Führungskräfte-Expertentalk: Die Grundlagen einer effektiven Strategie“

…seine Vorschläge natürlich.

Ich füge viele Textpassagen ein, die ich über die Jahre gesammelt habe, aus Artikeln, Vorträgen, Beratungskonzepten. Aber es dauert und andauernd muss ich korrigierend eingreifen: „Nicht so kurz, wo habe ich das denn geschrieben?“

Die Antwort, die ich erhalte, beschwichtigt mich; ich lese: „Entschuldigung, das war mein Fehler. Tatsächlich haben Sie in Ihrem ursprünglichen Text nicht direkt erwähnt, dass eine Strategie flexibel und anpassbar sein muss.“

So ging es noch ein bisschen hin und her.

Ich frage mich heute also, ob es wirklich von großem Nutzen war, ich muss nun so viele Inhalte schieben, nachlesen…vielleicht hätte ich doch alles selbst schreiben sollen. Was definitiv fehlt: ein Gespür zu entwickeln, Raffinesse und Genialität. Wie lange noch..?

Wirklich gute Ergebnisse bekommt man bislang nur dann, wenn man sich einarbeitet und lernt, wie man es bedient.

Klar ist: Viele von uns unterschätzen noch, was da schon ist und noch auf uns zurollt.

Es will gefallen, er schreibt sehr gut, er berät, er coacht, er unterstützt, er macht besser, er inspiriert mich sogar…und wenn das alles noch besser wird, oha…

Ich bin heute – glücklicherweise – dennoch etwas entmystifiziert worden und rufe gleich mal Flo an. Vielleicht will er ja Ostereier mit mir bemalen.

…und vorher frage ich ChatGPT-4 noch, was er von diesem Artikel hält und wo ich ihn besser machen könnte.